Die Einsamkeit der Aufsicht in der Mittagspause (und warum Freundschaften unter Lehrkrften so schwer entstehen)

Du stehst in der Mensa, beobachtest 300 Grundschulkinder, wie sie mit Tabletts, Trinkpckchen und Freundschaftsdramen jonglieren - und pltzlich wird dir bewusst: Du bist den ganzen Tag von Menschen umgeben, und trotzdem fhlst du dich vllig allein.

Deine "Mittagspause" verbringst du damit, Verpackungen zu ffnen und Streit auf dem Pausenhof zu schlichten. Deine Vorbereitungszeit geht fr Elternmails und Kopien drauf. Das einzig "erwachsene" Gesprch heute war ein gehetztes "Wie war dein Wochenende?" auf dem Flur zwischen zwei Stunden.

Du liebst deine Schler:innen - und gleichzeitig kann sich diese Isolation manchmal erdrckend anfhlen.

Wenn sich dein Lehrerdasein einsam anfhlt, bildest du dir das nicht ein. Und du bist mit diesem Gefhl ganz sicher nicht allein.

Das Paradox des Lehrberufs

Unterrichten ist gleichzeitig einer der sozialsten und einer der einsamsten Berufe.

Du bist den ganzen Tag mit Menschen zusammen. Aber diese Menschen sind Kinder, Eltern und Schulleitung - nicht unbedingt Kolleg:innen, die wirklich verstehen, was du gerade durchmachst.

Dazu kommt:

• Deine "freie Zeit" liegt mitten am Vormittag, wenn alle anderen arbeiten
• Deine Abende sind voll mit Vorbereitung und Korrekturen
• Deine Wochenenden gehren Schulveranstaltungen und aufgeschobener Arbeit
• Deine Ferien brauchst du, um dich zu erholen und dich wieder vorzubereiten - nicht unbedingt fr intensives Sozialleben

Kein Wunder, dass es schwer ist, stabile erwachsene Freundschaften aufzubauen.

Warum Freundschaften unter Lehrkrften so kompliziert sind

Der Faktor Zeit

Wann sollen Lehrkrfte sich austauschen? In den 23 Minuten Mittagspause? Nach Konferenzen, Aufsichten und Gesprchen? Am Wochenende, wenn du krperlich und mental einfach mde bist?

Die Rechnung geht oft nicht auf.

Die emotionale Dauerbelastung

Du gibst so viel emotionale Energie an Schler:innen, Eltern und Schulleitung, dass am Ende des Tages oft nichts mehr brig bleibt - auch nicht fr freundschaftliche Beziehungen.

Das "Vergleichs-Gefhl"

In Schulen schwingt hufig ein leiser Wettbewerb mit - wessen Klassenraum schner ist, wessen Testergebnisse besser ausfallen, wer in der Dienstbesprechung gelobt wird. Echte Freundschaften aufzubauen ist schwer, wenn man das Gefhl hat, stndig verglichen zu werden.

Angst vor "Schulpolitik"

Viele Lehrkrfte bleiben auf Distanz, weil sie sich nicht in Konflikte, Lagerbildung oder Gerchte hineinziehen lassen wollen. Oberflchliche Beziehungen scheinen sicherer, als sich in mgliche Spannungen zu verstricken.

Die rumliche Streuung

Im Gegensatz zu vielen Bro-Jobs wohnen Lehrkrfte hufig in unterschiedlichen Orten und pendeln zur Schule. Spontane Treffen nach Feierabend sind dadurch organisatorisch oft schwierig.

Die Kosten von Isolation

Neulich schrieb eine Lehrkraft:

_"Mir ist aufgefallen, dass ich niemanden habe, den ich nach einem schlechten Tag anrufen knnte, der wirklich versteht, was ich erlebe."_

Die Antworten waren erschtternd:

_"Ich unterrichte seit 8 Jahren, und meine engste Freundin an der Schule ist gerade versetzt worden."_ _"Ich esse jeden Tag allein in meinem Klassenraum."_ _"Ich fhle mich schlecht, wenn ich mich bei Freund:innen, die nicht unterrichten, beschwere - sie verstehen es einfach nicht."_ _"Ich bin den ganzen Tag von Kindern umgeben und sehne mich trotzdem nach Erwachsenen-Gesprchen."_

Isolation im Lehrberuf ist nicht nur ein Gefhl von Einsamkeit - sie wirkt sich aus auf:

• Professionelle Entwicklung (weniger Austausch, weniger Ideen)
• Psychische Gesundheit (mehr Stress, hheres Burnout-Risiko)
• Arbeitszufriedenheit (Gefhl, vom Berufsumfeld abgekoppelt zu sein)
• Persnliches Wohlbefinden (fehlendes soziales Netz zur Untersttzung)

Mythen ber Freundschaften unter Lehrkrften

Mythos Nr. 1: "Lehrkrfte sind von Natur aus Teamplayer und immer kooperationsbereit." _Realitt_: Viele Lehrkrfte sind eher introvertiert und lieben vor allem die Arbeit mit Kindern - nicht unbedingt groe Runden mit Erwachsenen. Mythos Nr. 2: "Eine Schule ist wie eine groe Familie." _Realitt_: Manche Kollegien sind wirklich untersttzend, andere eher schwierig. Nhe im Gebude bedeutet noch keine echte Verbundenheit. Mythos Nr. 3: "Lehrkrfte haben so viel gemeinsam, Freundschaft entsteht von allein." _Realitt_: Gemeinsamer Beruf ersetzt nicht gemeinsame Werte, Interessen oder Kommunikationsstile. Mythos Nr. 4: "Erfahrene Lehrkrfte nehmen automatisch alle Newcomer an die Hand." _Realitt_: Manche tun das mit viel Herz - andere sind selbst am Limit und kmpfen mit der eigenen Belastung.

Kleine Schritte in Richtung Verbundenheit

Der "Fnf-Minuten-Freitag"

Nimm dir vor, jeden Freitag fnf Minuten mit einer Kollegin/einem Kollegen ber etwas Nicht-Berufliches zu sprechen: Hobbies, Wochenendplne, Lieblingsserien - einfach Menschsein.

Die Mittagspausen-Einladung

Frag einmal pro Woche jemanden, ob er/sie mit dir Mittag essen mchte. Nicht, um ber Arbeit zu sprechen - sondern um bewusst erwachsene Gesprche zu fhren.

Das Parkplatz-Gesprch

Die Minuten vor und nach der Schule auf dem Parkplatz eignen sich gut fr kurze, ungezwungene Gesprche - ohne Agenda.

Die Jahrgangs-Gruppenchat

Starte einen Gruppenchat mit deinem Jahrgangs- oder Fachteam: Nicht nur fr schnelle Fragen, sondern auch fr kleine Anekdoten, lustige Schler:innen-Sprche oder kleine Erfolge.

Der Nachmittags-Kaffee

Schlage einer Kollegin/einem Kollegen einmal im Monat vor: "Hast du Lust, nach der Schule kurz einen Kaffee trinken zu gehen und ein bisschen runterzukommen?" - ganz ohne Verpflichtung.

Deine "Teacher Tribe" finden

Achte auf diese "Green Flags":

• Die Untersttzer:in - teilt Materialien, Ideen und Tipps, ohne etwas zurckzuerwarten
• Die Zuhrer:in - fragt "Wie geht es dir wirklich?" und bleibt dabei stehen
• Der/die Realist:in - benennt, dass der Job hart ist, ohne alles nur negativ zu sehen
• Der/die Mutmacher:in - freut sich mit dir ber kleine Erfolge und strkt dich
• Der/die Grenzrespektierende - akzeptiert dein Tempo, deine Privatsphre und deine Nein's

Sei vorsichtig bei diesen "Red Flags":

• Die Dauer-Beschwerer:in - jedes Gesprch kippt in Negativspiralen
• Der/die Konkurrent:in - macht alles zum Wettkampf oder Vergleich
• Der/die "Alles-weiter-Erzhler:in" - verbreitet Geschichten ber andere und sorgt fr Drama
• Die Dauerkrise - ist stndig im Ausnahmezustand und erwartet, dass du alles auffngst
• Der/die Grenzbertreter:in - ignoriert dein Zeitgefhl, deinen Raum oder deine Privatsphre

Verbundenheit ber das Schulgebude hinaus

Online-Communities

Facebook-Gruppen, Instagram-Accounts oder X-/Twitter-Chats fr Lehrkrfte knnen ein Gefhl von "Die verstehen mich" schaffen - auch wenn niemand von ihnen in deinem Flur steht.

Professionelle Netzwerke

Fachverbnde, lokale Fortbildungsgruppen und pdagogische Tagungen bieten Raum, Gleichgesinnte kennenzulernen.

Kontakte in der Nachbarschaft

Manchmal sind die wichtigsten "Teacher Friends" nicht an deiner Schule. Schau bei lokalen Veranstaltungen, Stammtischen oder in Online-Gruppen deiner Stadt nach anderen Lehrkrften.

Freund:innen auerhalb der Schule

Unterschtze nicht den Wert von Menschen, die _nicht_ in der Schule arbeiten. Sie knnen dir helfen, dich daran zu erinnern, wer du noch bist - neben deiner Rolle als Lehrkraft.

Verbindung im Kleinen schaffen

Das echte Nachfragen

Statt "Alles gut?" einmal fragen: "Was war dein Highlight in dieser Woche?" oder "Was war in letzter Zeit besonders herausfordernd fr dich?"

Etwas weitergeben

Teile etwas Ntzliches - eine Idee, ein Material, einen lustigen Meme, einen hilfreichen Artikel - ohne Erwartung, dass etwas zurckkommt.

Die Gratulations-Nachricht

Wenn du von etwas Positivem bei einer Kollegin/einem Kollegen hrst, schick eine kurze Nachricht: "Ich habe gehrt, - ich freue mich total fr dich!"

Ein Moment der Offenheit

Teile eine kleine Schwierigkeit oder bitte um Rat. Echte, dosierte Verletzlichkeit ffnet oft Tren fr echte Verbundenheit.

Begegnungen ohne Agenda

Sprich Kolleg:innen auch dann an, wenn du nichts brauchst und nichts willst. Einfach, um einen Moment gemeinsam Mensch zu sein.

Wenn Einsamkeit schwer auf dir lastet

Wenn du merkst, dass Isolation deine psychische Gesundheit beeinflusst, knnte es hilfreich sein:

• Beratung in Anspruch zu nehmen (viele Schultrger oder Lnder bieten EAP-/Beratungsprogramme an)
• Online-Selbsthilfe- oder Austauschgruppen fr Lehrkrfte zu nutzen
• Alte Freundschaften wieder anzuknpfen, auch auerhalb des Bildungsbereichs
• Mit Familie oder vertrauten Personen offen zu sprechen
• Dir immer wieder bewusst zu machen: Gefhlte Einsamkeit ist ein Zustand - kein persnliches Versagen und kein dauerhaftes Etikett

Erlaubnis, klein anzufangen

Du musst nicht mit dem ganzen Kollegium "Best Friends" werden. Es reicht, ein oder zwei Menschen zu haben, bei denen sich der Tag weniger einsam anfhlt.

Du darfst:

• den ersten Schritt machen
• Grenzen setzen, was "Arbeitstalk" angeht
• Qualitt ber Quantitt stellen
• Abstand zu Kolleg:innen halten, die dir nicht guttun
• deine eigenen sozialen Bedrfnisse ernst nehmen - ohne schlechtes Gewissen

Fr morgen

Wenn du das nchste Mal allein in deinem Klassenraum zu Mittag isst, knntest du dich fragen:

• Gibt es eine Person, die ich heute einladen knnte, sich dazuzusetzen?
• Knnte ich mir fnf Minuten nehmen, um bei jemandem nachzufragen, wie es wirklich geht?
• Gibt es eine Lehrkraft, die sich vielleicht genauso isoliert fhlt wie ich?
• Welchen kleinen Schritt Richtung Verbindung knnte ich heute ausprobieren?

Zur Erinnerung: Freundschaften unter Lehrkrften sind kein Luxus - sie sind eine Ressource. Verbundenheit strkt Lehrkrfte. Gestrkte Lehrkrfte knnen Schler:innen besser begleiten.

Du hast erwachsene Freundschaften verdient. Du hast eine professionelle Gemeinschaft verdient. Du hast es verdient, dich in einem Beruf, der so oft einsam sein kann, weniger allein zu fhlen.

_Start klein. Fang irgendwo an. Fang heute an._

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Unterrichten muss kein Weg im Alleingang bleiben. Manchmal beginnt Gemeinschaft einfach damit, dass jemand den Mut hat, "Hallo" zu sagen.

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ber die Autor:innen: Diese Reflexion bndelt Erfahrungen von Pdagog:innen, die gelernt haben: Wirklich tragfhige berufliche Beziehungen entstehen selten zufllig - aber die Investition in Verbindung, gemeinsame Untersttzung und weniger Isolation lohnt sich auf vielen Ebenen. ```